Der Großteil des Lebens in der Arktis besteht aus mikroskopisch kleinen Organismen wie Bakterien und Algen, die im Wasser und Eis des Nordpolarmeers leben. Diese Organismen sind für die marinen Nahrungsketten von essenzieller Bedeutung, da sie durch Photosynthese Biomasse aus Sonnenlicht, Wasser und Nährstoffen herstellen. Diese Biomasse stellt die Nahrungsgrundlage für Zooplankton, kleine Fische und Krustentiere dar und bildet somit die Basis der arktischen Nahrungskette, die bis hin zu Spitzenprädatoren wie Haien und Orcas reicht.
Der Klimawandel bedroht jedoch ihren Lebensraum, da steigende Temperaturen und das schmelzende Meereis die Bedingungen im Nordpolarmeer radikal verändern. Prognosen lassen den Schluss zu, dass das Nordpolarmeer bis 2050 im Sommer regelmäßig eisfrei sein wird. Dies hat nicht nur Auswirkungen auf Arktisbewohner wie Eisbären, sondern auch auf die mikroskopisch kleinen Organismen, die das Fundament des Ökosystems bilden.

Um herauszufinden, wie sich diese mikrobiellen Gemeinschaften an die neuen Bedingungen anpassen, bin ich bereits im letzten Jahr an Bord des Forschungsschiffes Polarstern zur Arktis gereist. Im nächsten Monat werde ich diese Reise erneut antreten, um wieder Wasser und Eis Proben zu nehmen. Im Rahmen der Untersuchungen fokussieren wir uns insbesondere auf die Mikrobengemeinschaften an der Eiskante, welche den Übergang zwischen der eisbedeckten Zone und dem offenen Wasser markiert. An dieser Stelle sind die Bedingungen einem rapiden Wandel unterworfen, der in ähnlicher Weise in der gesamten Arktis durch den Klimawandel induziert wird. Die Eiskante fungiert somit als Modell für die zukünftigen Sommer der Arktis.
Mathematische Modellierung und Statistik ist entscheidend für die Analyse von marinen Mikroorganismen-Gemeinschaften, da sie komplexe ökologische Prozesse quantifizierbarer macht. Durch Modelle können wir die Wechselwirkungen zwischen verschiedenen Mikroorganismen und ihrem Umfeld genauer beschreiben und vorhersagen. Sie ermöglichen die Simulation von Umweltveränderungen, wie Temperatur- und Nährstoffschwankungen, und deren Auswirkungen auf die Mikrobenpopulationen. Schließlich können sie ein tieferes Verständnis der zugrunde liegenden Mechanismen bieten, die natürliche mikrobiologische Gemeinschaften steuern.
Während unserer Untersuchungen entnehmen wir Proben und analysieren die Zusammensetzung sowie die Anpassungsfähigkeit der Mikroben. Dabei kommen auch Remote Access Sampler (RAS) zum Einsatz, die über einen Zeitraum von einem Jahr hinweg automatisch Wasserproben sammeln. Diese Proben ermöglichen es uns, langfristige Veränderungen zu beobachten und die Auswirkungen des Klimawandels auf die mikrobiellen Gemeinschaften zu modellieren.
Ein bedeutsames Phänomen, das wir dabei untersuchen, ist die sogenannte Atlantifizierung, bei der warmes Atlantikwasser in die Arktis eindringt und das Meereis weiter schmilzt. Dies führt zu veränderten Nährstoffverhältnissen und einer schwächeren Schichtung der Wassersäule. Atlantische Mikroben könnten in die arktischen Lebensräume vordringen und dort heimische Arten verdrängen, was das gesamte Ökosystem beeinflussen könnte.
Unsere bisherigen Ergebnisse legen nahe, dass die Mikroben in der Arktis in hohem Maße von den sich ändernden Bedingungen beeinflusst werden. In Gebieten, in denen viel atlantisches Wasser einströmt und wenig Meereis treibt, siedeln sich Bakterien aus gemäßigten Zonen an. Ihre Zusammensetzung variiert je nach Jahreszeit und Nahrungsverfügbarkeit, insbesondere durch Phytoplankton-Blüten. In rein arktischem Wasser hingegen bleiben typische polare Bakteriengemeinschaften dominant, die speziell an das Leben unter oder im Eis angepasst sind.
Einige eiszeitliche Algenarten scheinen besser an die neuen Bedingungen angepasst zu sein als erwartet. Diese Arten kommen auch in atlantischem Wasser gut zurecht, während typische Algen der gemäßigten Breiten Schwierigkeiten haben, im kalten arktischen Wasser zu überleben. Das Temperaturgefälle zwischen arktischem und atlantischem Wasser bildet somit eine Barriere, die eine Masseneinwanderung von atlantischem Plankton verhindert.
Obgleich die gewonnenen Erkenntnisse gewisse Rückschlüsse auf die langfristigen Folgen dieser Veränderungen für das Ökosystem Nordpolarmeer zulassen, bleiben deren genaue Ausprägungen und Auswirkungen auf das marine Nahrungsnetz jedoch noch unklar. Kleinste Veränderungen in der Zusammensetzung der Mikroben könnten verheerende Auswirkungen haben, da sie die Basis des gesamten marinen Nahrungsnetzes bilden. Um präzise Vorhersagen treffen zu können, sind noch umfangreichere Daten und Modellierungen erforderlich. Weitere Daten werden wir auf einer weiteren Expedition Anfang Juli sammeln und analysieren, um ein besseres Verständnis der zukünftigen Veränderungen und deren Auswirkungen zu erlangen.
Wer Ellen’s Expedition in die Arktis gerne verfolgen möchte, kann ab Juli Bilder und Infos auf @ceplas_1 finden!
Planter’s Punch
Unter der Rubrik Planter’s Punch wird jeden Monat ein bestimmter Aspekt des CEPLAS-Forschungsprogramms vorgestellt. Alle Beiträge werden von Mitgliedern der Graduiertenschule und des Postdoc-Programms erstellt.

Über die Autorin
Ellen Oldenburg hat ihr Bachelor- und Masterstudium in quantitativer Biologie erfolgreich abgeschlossen. Im Anschluss daran begann sie ihre Doktorarbeit mit dem MOSAiC-Projekt als Hauptthema. Durch ihre Arbeit an diesem Projekt konnte Ellen wertvolle Kontakte zum Alfred-Wegener-Institut (AWI) knüpfen. Dies ermöglichte ihr die Teilnahme an Expeditionen in den Jahren 2022 und 2024.
Neben ihrer wissenschaftlichen Arbeit hat Ellen auch private Interessen. In ihrer Freizeit liest sie gerne und tanzt. Das ist ein guter kreativer Ausgleich zu ihrer Forschungsarbeit.
Das Projekt MOSAiC (Multidisciplinary drifting Observatory for the Study of Arctic Climate) ist eine der größten internationalen Arktisexpeditionen, die jemals durchgeführt wurden. Ziel des Projektes ist es, ein umfassendes Verständnis der Arktis und ihrer Klimaprozesse zu erlangen, indem das Forschungsschiff Polarstern ein Jahr lang im arktischen Eis driftet, begleitet von zahlreichen Forschungsteams aus aller Welt.
Zum Nachlesen
Ellen Oldenburg et al. (2024b). “Sea-ice melt determines seasonal phytoplankton dynamics
and delimits the habitat of temperate Atlantic taxa as the Arctic Ocean atlantifies”. In: ISME
communications 4.1, ycae027 doi: https://doi.org/10.1093/ismeco/ycae027
Taylor Priest et al. (2023). “Atlantic water influx and sea-ice cover drive taxonomic and func-
tional shifts in Arctic marine bacterial communities”. In: The ISME Journal 17.10, pp. 1612–
1625 doi: https://doi.org/10.1038/s41396-023-01461-6
Ellen Oldenburg et al. (2023b). “DeepLOKI-a deep learning based approach to identify zoo-
plankton taxa on high-resolution images from the optical plankton recorder LOKI”. in: Fron-
tiers in Marine Science 10, p. 1280510 doi: https://doi.org/10.3389/fmars.2023.1280510
Thomas Mock et al. (Oct. 2022). “Multiomics in the central Arctic Ocean for benchmarking
biodiversity change”. In: PLOS Biology 20.10, pp. 1–6. doi: 10 . 1371 / journal . pbio .
3001835. url: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001835 doi: https://doi.org/10.1371/journal.pbio.3001835