
Hier liegt das große Buch des Lebens, die DNA. Es ist eine riesige Anleitung, die alles beschreibt, was einen Organismus ausmacht und dieser zum Leben benötigt. Egal, ob es um eine Pflanze, ein Tier, einen Pilz oder um Bakterien geht. Jede Zelle eines Organismus enthält seine eigene Kopie des Buches, jedes mit derselben Anleitung. Diese Anleitungen beschreiben, wie die Zelle Werkzeuge (Proteine) herstellen kann. Werkzeuge, mit denen sich die Zelle selbst aufbaut und mit denen sie zum Beispiel ihre Zellwände und inneren Transportwege baut. Werkzeuge, die selbst auch als Baumaterial verwendet werden können. Werkzeuge, mit denen die Zelle Energie gewinnt, die alles am Laufen hält. Und ebenso Werkzeuge, mit denen sich die Zelle verteidigt oder mit denen sie sich an Veränderungen in ihrer Umgebung anpassen kann.
Wir würden dieses Buch gerne lesen können und seine Geheimnisse ergründen, damit wir das Leben der Menschen verbessern können. Zum Beispiel indem wir dazu beitragen, die Versorgung mit Nahrungsmitteln sicherzustellen. Wir möchten herausfinden, welche Anleitung, welches Buch, die besten Pflanzen beschreibt. Das sind die Pflanzen, die uns die größte und gesündeste Ernte ermöglichen. Ebenso wollen wir wissen, welche Abschnitte des Buches die Pflanze so ertragreich machen. Welche Abschnitte erlauben es der Pflanze, sich gegen Fraßfeinde zu schützen oder große Trockenheit zu überstehen. Mit diesem Wissen könnten wir die besten Pflanzen finden oder die Bücher zweier Pflanzen durch Züchtung kombinieren.
Eine Herausforderung ist, dass die Natur nicht unsere Sprache spricht, sondern ihre ganz eigene Sprache hat. Jedes Buch ist in Codes geschrieben, eine Kombination aus den vier Buchstaben: A, T, G und C. (oder aus chemischer Sicht, die vier Basen, die in der DNA auftauchen: Adenin, Thymin, Guanin und Cytosin.) Um die Anleitung in jeder Zelle zu verstehen, müssen wir also die Sprache der Natur dekodieren. Dazu müssen wir einerseits verstehen, welche Anleitung welches Werkzeug beschreibt und wozu das Werkzeug geeignet ist. Andererseits müssen wir auch die Anleitung verstehen, die beschreibt, welche Anleitung zu welcher Zeit gelesen werden soll.
Als Beispiel: Wenn jede Zelle in einem Organismus dieselbe Kopie des Buches hat, wieso können Zellen dann so unterschiedlich aussehen? Wieso können sie so unterschiedliche Funktionen im Körper erfüllen?
Die Antwort auf diese Frage ist, dass nicht jeder Abschnitt im Buch in jeder Zelle und zu jeder Zeit gelesen wird. Es gibt viele verschiedene Lesezeichen im Buch, die der Zelle sagen, wo sie lesen soll und wo nicht. Manchmal werden sogar mehrere Seiten zusammengeheftet, damit sie nicht gelesen werden können (Die Fachwörter hier sind Transkriptionsfaktoren, Histone und ihre Modifizierungen und DNA-Methylierung). Diese Lesezeichen können aus dem Buch herausgenommen oder reingelegt werden, je nachdem, wie es von der Zelle benötigt wird. Das kann zum Beispiel von ihrem Alter, dem Typ der Zelle, oder davon, was die Zelle in ihrer Umgebung wahrnimmt, abhängen. Auf diese Art und Weise können sich einfache Zellen und ganze Organismen entwickeln, reifen und auf Chancen und Gefahren reagieren.
Obwohl verschiedene Spezies sehr unterschiedliche Bücher haben und einzelne Individuen ihre persönlichen Bücher, ähneln sich die Bücher einer Spezies insgesamt. In meinem Projekt arbeiten wir mit Gerste. So wie viele andere Pflanzen, kann man die Spezies Gerste in verschiedene Sorten unterteilen. Jede Sorte besteht aus Pflanzen, die sich ähnlich sind. Die Sorten untereinander unterscheiden sich aber etwas. Wir wollen die Bücher von verschiedenen Sorten vergleichen und schauen, ob Unterschiede im Text verursachen, dass Positionen von Lesezeichen verändert werden. Wir wollen eine große Liste von allen Unterschieden im Text, die Lesezeichen verändern, erstellen. Mit dieser Liste wollen wir dazu beitragen, dass die Unterschiede gefunden werden, die den meisten Einfluss auf das Wachstum und die Gesundheit der Pflanze haben. Mit diesem neuen Wissen wird es für Pflanzenzüchter hoffentlich einfacher, Pflanzen zu züchten, die den Herausforderungen der Zukunft gewachsen sind.
Planter’s Punch
Unter der Rubrik Planter’s Punch wird jeden Monat ein bestimmter Aspekt des CEPLAS-Forschungsprogramms vorgestellt. Alle Beiträge werden von Mitgliedern der Graduiertenschule und des Postdoc-Programms erstellt.

Über die Autorin
Während ihres Bachelors in Quantitativer Biologie an der HHU und der Universität zu Köln entwickelte Amelie Kok ein besonderes Interesse an Bioinformatik, quantitativer Genetik und Pflanzenwissenschaften. Sie hat ein besonderes Interesse daran, ihr bioinformatisches Wissen zu vertiefen und zur Verbesserung von Nutzpflanzen anzuwenden. Für ihren Master und ihre Doktorarbeit beschäftigt sie sich jetzt mit einer Annotation der Transkriptionsfaktorbindestellen in Gerste. Ihr Ziel ist es, den Einfluss von genetischen Varianten auf das Binden von Transkriptionsfaktoren zu messen.
Zum Nachlesen
Engelhorn J, Snodgrass SJ, Kok A, Seetharam AS, Schneider M, Kiwit T, Singh A, Banf M, Khaipho-Burch M, Runcie DE, Sanchez-Camargo VA, Torres-Rodriguez JV, Sun G, Stam M, Fiorani F, Beier S, Schnable JC, Bass HW, Hufford MB, Stich B, Frommer WB, Ross-Ibarra J, Hartwig T, 2023. Genetic variation at transcription factor binding sites largely explains phenotypic heritability in maize. (accepted) doi: 10.1101/2023.08.08.551183
Savadel SD, Hartwig T, Turpin ZM, Vera DL, Lung PY, Sui X, Blank M, Frommer WB, Dennis J, Jonathan H, Zhang J, Bass HW, 2021. The native cistrome and sequence motif families of the maize ear. PLOS Genetics 17(8): e1009689. doi: 10.1371/journal.pgen.1009689
Liang Z, Myers ZA, Petrella D, Engelhorn J, Hartwig T, Springer NM, 2022. Mapping responsive genomic elements to heat stress in a maize diversity panel. Genome Biology 23(234). doi: 10.1186/s13059-022-02807-7
Ricci WA, Lu Z, Ji L, Marand AP, Ethridge CL, Murphy NG, Noshay JM, Galli M, Mejía-Guerra MK, Colomé-Tatché M, Johannes F, Rowley MJ, Corces VG, Zhai J, Scanlon MJ, Buckler ES, Gallavotti A, Springer NM, Schmitz RJ, Zhang X, 2019. Widespread long-range cis-regulatory elements in the maize genome. Nature Plants 5, 1237-1249. doi: 10.1038/s41477-019-0547-0